Geschichte der Kandidatenabfuhr
Nach dem Ende des ersten Weltkrieges nahm im Januar 1919 die Staatliche Württembergische Maschinenbauschule Esslingen den Lehrbetrieb wieder auf. Die Studierenden waren auch in den folgenden Jahren meist Kriegsteilnehmer.
Die Kandidaten des WS 1921/1922 beschlossen, den Schluss des Studiums besonders eindrucksvoll und originell zu feiern. Sie besorgten sich einen, mit Pferden bespannten Leiterwagen, auf dem alle 28 Kandidaten Platz nahmen und vom „Stall“ aus durch die Straßen der Stadt fuhren. So wurde die erste „Kandidatenabfuhr“ in Esslingen geboren.
Entstehung des Kandelmarsches
Im gleichen Semester geschah es, dass gegen 1 Uhr morgens im damaligen Kneip-Lokal, der Zollbergwirtschaft, eine feuchtfröhliche Kneipe zu Ende ging. Angesichts der guten Stimmung zogen aber die Beteiligten nun nicht nach Hause, sondern den Zollberg hinauf auf ein Baumgrundstück. Dort holten sie eine etwa 30-sprossige Leiter, um sie in die Stadt hinunter zu nehmen. 10 bis 12 Studenten nahmen die Leiter auf die Schulter, drei Mann marschierten voraus, und so ging`s im Gleichschritt über die Pliensaubrücke, die damals noch sehr schmal war, starke seitliche Mauern besaß und links und rechts einen nur sehr schmalen Fußgängerweg für eine Person hatte. „Es ging durch das Pliensautor, und danach standen wir an den zugezogenen Rollschranken am Bahnübergang. Hinter uns kam ein Auto angerattert. Auf der anderen Seite erwarteten uns der Schrankwärter und ein Polizist; nachdem ein Güterzug durchgefahren und die Schranke geöffnet war, setzten wir uns im Gleichschritt in Marsch. Da kam die Stimme des Gesetzeshüters: "Was macht ihr wieder für einen Unfug? Geht wenigstens auf dem Bürgersteig, damit die Straße frei ist!" Die drei Vorderen zogen ihre Mützen und dann ging es schweigend auf dem Bürgersteig durch die Pliensaustraße.
Auf der inneren Brücke, von der Maille heraufkommend, stand Polizeiwachtmeister Eckart mit strenger Dienstmiene: "Halt! Was macht ihr hier? Wo kommt ihr her?" Die drei Vorderen zeigten mit dem Daumen nach hinten. "Wo wollt ihr hin?" Sie zeigten mit dem Zeigefinger nach vorne – sie blieben stumm, damit es keine Nachtruhestörung gab. "Mit auf die Wache, aber runter vom Bürgersteig!"
Und der Kandelmarsch war geboren - ein Fuß oben auf dem Bürgersteig und ein Fuß auf der Straße - das böse Gesicht des Polizisten änderte daran nichts! Der Schweigemarsch ging am Postmichelbrunnen vorbei, am Alten Rathaus hinauf und in die Heugasse hinein; in die Polizeiwache kamen wir mit der Leiter nicht, aber schon erschien Polizeikommissar Gerspacher vor der Tür: "Was soll denn das wieder?" Als gebürtiger Esslinger war ich dem Polizeigewaltigen bekannt und unsere Farben kannte er auch. In kurzen Worten erläuterte ich ihm den Sachverhalt. Die Dienstmiene schwand: "Macht keinen Unfug und bringt die Leiter nach Hause!" So geschah es auch. Am kommenden Vormittag kam der Kommissar persönlich zum Leiterbesitzer und erkundigte sich, ob alles in Ordnung war. Beide lächelten verständnisvoll. Wir aber zogen in Zukunft von der Kneipe zurück in die Stadt über die Pliensaubrücke im Kandelmarsch.